KATRIN BONGARD
RACING

RACING
E-Book Paperback Seiten ISBN |
4,99 € 15,00 € 468 9783946494652 |
New Adult, All Age, Liebesgeschichte
*Freundschaft, Wettkampf, Rivalität und Liebe in der Formel1*
Pia hat nach einem schweren Unfall ihre Rennkarriere beendet und Regie studiert. Eigentlich hatte sie nie vor, in den Rennzirkus zurückzukehren, doch eine Doku über die Formel 1 ist der perfekte nächste Schritt in ihrer Karriere. Dafür muss sie tief in ihre Vergangenheit eintauchen. In Zeiten und Ereignisse, die sie lieber verdrängt. Und sie wird Louis treffen, ihre Teenagerliebe. Louis, der mittlerweile ein erfolgreicher Formel-1-Fahrer ist und ihren ehemaligen Traum von einer Rennkarriere lebt.
Doch Louis hat eigene Dämonen. Damals in der F3 waren sie eine Gruppe von fünf Fahrern und Fahrerinnen. Beste Freunde. Und was Louis und Pia angeht – eigentlich noch mehr. Der Unfall von Pia hat alles veändert. Denn es gab noch eine weitere Katastrophe. Die Wiederbegegnung ist auch für Louis eine schmerzhafte Erinnerung an alles, was er seitdem verloren hat und was ihm auch die Siege in der F1 nicht zurückgeben können.
Warum ist es so weit gekommen? Welche verletzten Gefühle sind im Spiel? Wie können die alten Wunden heilen? Und welche Rolle spielen Lena, Mick und Henry, die anderen aus der Freundesgruppe?
Pia
Der Abspann läuft. Ich lese all die vertrauten Namen, alle, die an dem Film beteiligt waren, lese meinen Namen. Regie, Drehbuch, Schnitt: Pia Moss. Auch beim vierten Mal auf einer großen Leinwand fühlt es sich noch un- wirklich an. Mein Abschlussfilm an der Filmhochschule, mein erster großer Dokumentarfilm.
Langsam geht das Licht in dem kleinen Kinoraum an. Ich bin zu aufgeregt, kann nicht sitzen, stehe lieber und mustere die Gesichter meiner Eltern, meiner Freun- de, für die ich diese Vorführung organisiert habe. Eini- ge sehen den Film zum zweiten Mal und sind trotzdem hier. Sogar Henry, mein Bruder, ist gekommen, obwohl er sehr beschäftigt ist.
Ich glaube, mein Vater hat Tränen in den Augen, die er unauffällig wegwischt. Er ist überhaupt nicht der senti- mentale Typ, aber schließlich ist dieser Dokumentarfilm über ihn. Chefingenieur bei Alpha Toledo, kurz vor dem vorzeitigen Ruhestand, weil sein Job, wie alle Jobs in der Formel 1, purer Stress ist. Meine Mutter streichelt ihm den Arm und zwinkert mir zu. Ihre Art, mir zu zeigen, dass sie stolz auf mich ist, auf den Film, auf die sechs Jahre Studium, die ich erfolgreich beendet habe. Denn eigentlich hatte ich mir mein Leben anders vorgestellt. Rasanter. Ich wollte eine der ersten Frauen in der Formel 1 werden. Es unter die ersten zehn schaffen. Mein erstes Grand-Prix-Rennen gewinnen. Doch dann ...
Ich streiche mir über den Arm, spüre die Narben durch den engen Pullover. Selbst im Sommer trage ich langärmelige Shirts. Hauptsächlich, um die Fragen zu vermeiden.
Lena federt aus ihrem Sitz am Gang hoch und kommt zu mir. Wir umarmen uns.
»Die Doku ist einfach toll. Du hast genau das Gefühl eingefangen, die Stimmung in der F1, ich habe das Ben- zin gerochen und dein Vater ist einfach nur süß.«
»Süß?« Henry stellt sich zu uns. »Weißt du, was er am Anfang für ein Theater gemacht hat?«
Ich nicke. »Das gleiche Theater hat er gemacht, als du ihm gesagt hast, dass du kein Formel-1-Fahrer wirst. Er hat es überlebt. Und? Hat dir der Film gefallen?«
Die Meinung meines großen Bruders ist mir sehr wichtig.
Henry grinst. »Na klar. Ich fand schon die Ausschnitte stark, die du mir zwischendurch gezeigt hast, und jetzt macht alles Sinn.« Er steht hinter Lena, die er locker um einen Kopf überragt. »Du hast mich beeindruckt.«
Beeindruckt sogar.
Lena blickt in Richtung meiner Eltern. »Und schau mal, wie stolz sie sind.«
Meine Eltern winken von ihren Sitzen aus. Ich genieße den Moment. Beide waren skeptisch, ob ich die Be- lastung dieses Studiums aushalten werde. Das Stillsitzen und Zuhören in Vorlesungen. Die Konkurrenz, der Druck. Doch im Gegenteil, das alles hat mir gutgetan.
Vorne geht Heli, meine Kamerafrau, mit dem Mikro auf und ab. Richtig, ich wollte noch etwas sagen. Ich winke ihr zu und gehe nach vorne vor die Leinwand.
»Hey, schön, dass ihr gekommen seid.«
Ich bin nicht besonders großartig darin, Reden zu halten. Lieber stehe ich hinter der Kamera und gebe An- weisungen und überlasse den anderen die Bühne. Doch das ist mein Moment und ich genieße ihn. Es ist schön, sich bei meinen Freunden, meiner Familie zu bedanken. Bei allen, die mir in den letzten Jahren geholfen haben, das Studium gut zu beenden, und ganz besonders mei- nen Eltern, die die Idee, einen Dokumentarfilm über die Arbeit meines Vaters zu drehen, unterstützt haben, als ich ihnen das Projekt vor zwei Jahren vorgestellt habe. Auch wenn es stimmt, dass mein Vater am Anfang dage- gen war. Es war nicht einfach. Vieles in der Formel 1 ist streng geheim und musste von etlichen Stellen abgesegnet werden.
»Danke, Paul, für deine Geduld und meine nervigen Fragen, danke Lydia für deine Ermutigung, auch wenn ich dachte, ich schaffe es nicht.« Meine Eltern nicken, mein Vater winkt ab. So sind sie.
Henry hebt den Arm, ruft. »Und was ist mit mir? Ich habe mich erfolgreich zurückgehalten.«
Alle lachen. Henry hat diese Art, jeden für sich einzu- nehmen. Lena sitzt neben ihm, boxt ihn leicht auf den
Arm, doch er lacht nur.
Das Kino summt vor Energie. Ich glaube, ich könnte
süchtig nach dieser Stimmung werden, der Aufmerksam- keit, der guten Laune.
»Henry, bester Bruder – ever! Natürlich warst Du ein wichtiger Teil dieses Films. Ohne dich hätte ich Paul nie überzeugt und den Schnitt nicht überstanden, bei dem du mich mit Pizza und alkoholfreiem Bier am Leben gehal- ten hast.«
Wieder Lachen.
Vielleicht habe ich ja doch ein Talent für Ansprachen. Und es stimmt, ich habe den Rohschnitt im Hobby-
raum meiner Eltern fertiggestellt. Henry war in den Semesterferien da, und so wurde es ein Familiending, auch wenn er den ganzen Film erst jetzt gesehen hat.
Ich räuspere mich und es wird wieder ruhig im Raum. Es ist eine lange Liste von Menschen, bei denen ich mich bedanken möchte. Ich fasse sie zu Gruppen zusammen, spreche schnell, denn ich weiß, wie langweilig diese Aufzählungen für Nichtbeteiligte sein können. Dann rufe ich mein Team auf die Bühne, das fast vollständig da ist, wir umarmen uns. Okay, das waren meine zwei Sekunden Ruhm. Bis zur nächsten Premiere. Vielleicht fühlt es sich ja irgendwann genauso gut an, vor einer Kinoleinwand zu stehen wie auf einem Podium.
Nach der Vorführung sammeln wir uns im Vorraum des Kinos, wo es Sekt, Saft und Knabberzeug gibt, eine klei- ne Premierenfeier, die den letzten Rest meines Budgets verschlungen hat. Eine Sache, die mir jetzt wieder einfällt. Mein Studium habe ich mit meinen alten Einkünften als Rennfahrerin finanziert, es war mir wichtig, das allein zu schaffen. Doch nun sind Studium und Geld zu Ende und ich brauche einen Job. Dringend.
Lena stellt sich zu mir. »Schade, dass Mick nicht da ist.«
Lena und Mick sind Geschwister und für mich wie Familie. Wir haben uns als Kinder beim Kartfahren kennen- gelernt und seitdem nicht aus den Augen verloren, auch wenn nur Mick beim Rennsport geblieben ist. Henry hat irgendwann sein Studium der Luft- und Raumfahrttech- nik begonnen und Lena wollte lieber eine Ausbildung zur Fotografin machen. Das kommt mir sehr lange her vor. Trotzdem spüre ich, wenn ich an die Zeit denke, dieses Ziehen in der Brust. Eine seltsame Sehnsucht nach dem Adrenalinschub, der Spannung auf der Strecke, der Konzentration beim Fahren.
Lena streicht sich eine Strähne aus dem Gesicht. Ich mag ihren neuen Style, den blonden Bob, glatt und glänzend. Meine Haare machen, was sie wollen. Keine Chance auf einen eleganten Look.
Henry holt sein Handy heraus. »Wir rufen Mick an.« Er sieht zu mir. »Was meinst du?«
»Keine Ahnung. Hat er nicht heute ein Rennen?« »Das müsste längst zu Ende sein.«
Mein Bruder tippt auf seinem Handy herum. Meine Eltern kommen näher und umarmen mich.
»Das war ein sehr schöner Film, Pia.« Meine Mutter wendet sich an meinen Vater. »Ist das nicht das beste Geschenk für deinen nächsten Lebensabschnitt?«
Ich muss über die nicht sehr subtile Art meiner Mutter grinsen, meinen Vater daran zu erinnern, dass er endlich in den Ruhestand gehen sollte. Es wäre auf jeden Fall gesünder. Doch ich verstehe sehr gut, dass es schwierig ist, die Formel 1 zu verlassen.
»Hey! Pi!«
Henry hält das Handy hoch, winkt mir zu. Pi, mein Spitzname, den mir Mick irgendwann einmal verpasst hat, als ich ihn im Schach geschlagen habe. Was nicht sehr schwer war. Ich hätte nie gedacht, dass dieser Name sich durchsetzen würde, doch alle meine engen Freunde nennen mich mittlerweile so. Pi, wie die un- endliche Zahl, als wäre ich ein Mathe-Nerd. Oder nur ein Nerd.
Henry reicht mir das Handy. Ich stelle mich etwas abseits, um ihn besser zu verstehen.
»Hey, Mick! Welcher Platz? Hast du Punkte geholt?«
»Pi, du bist heute der Star des Abends. Wie war dein Film?«
»Gut!«
Ich überlege, wie ich es Mick erklären kann. Dass der Film leise ist und sehr intim, eher ernst und auf jeden Fall anders, als er mich kennt. Früher war ich laut und aufgedreht. Wir haben uns lange nicht mehr persönlich gesehen, manchmal geskypt, doch in den letzten zwei Jahren hatten wir fast keinen Kontakt. Ich war ganz mit dem Abschluss beschäftigt und er ist den Rennkalender in der Formel 2 gefahren, etwa vierzehn Rennen im Jahr, alle paar Wochen ein neues Land.
»Glückwunsch zu deinem Film und dem Abschluss!« Mick stöhnt. »Verdammt, so ärgerlich, dass ich nicht kommen konnte.«
»Hey, schon okay. Du kannst kommen, wenn ich meinen ersten Oscar einsacke. Aber jetzt: Wie lief das Ren- nen?«
Ich habe das Gefühl, Mick grinst am anderen Ende.
»Erster?«, frage ich, denn obwohl wir uns nicht gesehen haben, verfolge ich seine Formel-2-Rennen. Mick ist gut.
»Jep. Und ...« »Was?«
»Nein, schon gut. Es ist dein Tag.«
»Seit wann bist du so rücksichtsvoll?« Ich grinse. »Ich erinnere mich an ein Rennen in Silverstone ...«
»Nein, nein, nein! Da hast du mich nicht vorbeigelassen und ich habe ...«
»Ich war schneller!«
»Du hast mich blockiert!«
Ich muss lachen, weil diese Gespräche über vergan-
gene Rennen absurd sind, ich sie aber trotzdem liebe. Doch das ist wirklich schon eine ganze Weile her ist. Die Formel 3. Der Rennzirkus. Ich sollte endlich loslassen. Ich bin Regisseurin. Jetzt sogar offiziell.
Am anderen Ende ist es still geworden.
»Mick? Noch da?«
»Pi, ich vermisse dich hier. Es war besser, als du noch dabei warst.«
Er klingt auf einmal so ernst, dass ich schlucken muss und einen Moment brauche. Vermisse ich es? Ja, schon. Gleichzeitig war es wichtig für mich, mir zu beweisen, dass ich auch etwas anderes kann, als Rennen zu fahren. Den ganzen Rennzirkus betrachte ich jetzt nur noch von außen. Maximal durch die Filmkamera.
»Hey, ich bin diejenige, die in Berlin festsitzt. Du reist durch die Welt.«
Er lacht. »Stimmt auch wieder.«