KATRIN BONGARD
LASS UNS FLIEGEN
E-Book Seiten ISBN |
3,99 € vergriffen 240 978-3-943799-44-6 |
Young Adult/für Jugendliche ab 14 Jahren.
#Selbstfindung #ErsteLiebe #Kreativität #Trauer #Freundschaft #Schreiben
Vincent und Paulina kommen aus vollkommen unterschiedlichen Schulcliquen. Die fleißige Schülerin hat doch nichts mit Vincent, dem Kiffer, zu tun? Das ändert sich, als sie sich in der Schreibwerkstatt für eine Schulprojekt kennenlernen, sich gegenseitig ihre Texte und Gedichte zeigen, sich langsam öffnen. Und schließlich ineinander verlieben. Doch um sich ihre Gefühle einzugestehen, braucht es Mut, eine Prise Verrücktheit und … die Kunst des Schreibens.
Lass uns fliegen
EINS
Neuanfang
Paulina
Ich sitze auf einem blauen Sessel und halte mich an den Armlehnen fest, als könnte ich davongeweht werden, dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Ich bin gefangen.
„Deine Noten waren immer überdurchschnittlich, Paulina, ich würde mir also wegen der Fehlzeiten keine Sorgen machen.“
Frau Berger, unsere Oberstufenkoordinatorin, blättert durch eine Akte, von der ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal wusste, dass sie überhaupt existiert.
„Das Wichtigste ist, dass du dich wieder stark genug fühlst, zur Schule zu gehen.“
Stark genug? Ich bin mir nicht sicher, ob das die richtige Beschreibung ist. Es ist eher so, dass ich es zu Hause in dem großen, leeren Haus nicht mehr aushalte. Und natürlich war der Wiedereinstieg nach den Osterferien geplant, ich habe ihn nie infrage gestellt.
„Das mit der Arbeit von zu Hause aus hat auch perfekt geklappt. Ich bin sehr zufrieden. Ich denke, dein Einser-Abitur hast du nicht in Gefahr gebracht.“ Frau Berger lächelt. „Und du weißt, dass du jederzeit zu mir kommen kannst?“
Ich nicke, obwohl ich keine Ahnung habe, was das bedeutet. Frau Berger ist nett, aber sie wird mir kaum bei dem Gossip helfen können, der über mich im Umlauf ist. Nervenzusammenbruch, Alkoholabsturz, Selbstmord-versuch. Nichts von dem stimmt. Oder alles, weil ich an alles schon gedacht habe. Ich presse meine Handflächen zwischen meine Oberschenkel, die weiße Jeans, mein Markenzeichen. Etwas, das nicht mehr zu mir passt, ohne dass ich wüsste, was ich jetzt bin und wo ich hinwill. Erst einmal raus aus diesem Sessel, diesem Zimmer.
Frau Berger nickt mir zu, lächelt – mitleidig. Der Blick. Wenn ich jeden zu mir einladen würde, der mir in den letzten Monaten diesen Blick geschenkt hat, könnte ich eine Riesenparty feiern. Ich weiß, sie meint es nett, anteilnehmend, aber ich weiß auch, sie hat keine Ahnung, was in mir vorgeht. Zeit heilt alle Wunden, sagt man, aber niemand sagt, wie viel Zeit das sein wird. Gerade habe ich das Gefühl, es könnte mein ganzes Leben lang dauern.
„Wir dachten, du fängst mit wenigen Stunden an. Ein ganzer Schultag ist vielleicht zu lang?“
Ich habe keine Ahnung.
„Du entscheidest.“
Ich nicke und sehe auf die Uhr im Besprechungszimmer. Die dritte Stunde hat längst begonnen.
Frau Berger folgt meinem Blick zur Uhr. „Soll ich dich in den Unterricht begleiten? Es wissen alle, dass du kommst, also sollte eine Verspätung kein Problem sein.“
„Nein, schon in Ordnung.“ Ich ziehe meine Strickjacke enger um mich, obwohl es warm im Raum ist, und starre durch das Fenster, halte mich an den kahlen Ästen fest und hoffe, dass ich nicht im letzten Moment noch anfange zu weinen. Bisher lief es doch so gut.
Es klopft, und wir sehen beide zur Tür.
Frau Berger zögert, steht dann aber doch auf und öffnet sie einen Spalt.
„Ja, Vincent?“
„Ich sollte zu Ihnen kommen?“
„Aber doch nicht jetzt, hast du nicht Unterricht?“
„Bio fällt aus.“
„Ja, also …“ Sie sieht sich unentschlossen zu mir um.
„Ich kann gehen“, sage ich und bin erleichtert, dass mein Körper mir beim Aufstehen folgt.
Frau Berger öffnet jetzt die Tür, immer noch unentschlossen, ob sie mich gehen lassen kann. Aber die Alternative wäre nur, dass ich ein Zelt im Lehrerzimmer aufschlage, da dies derzeit mein Normalzustand ist. Immerhin weine ich nicht.
Ich löse meine Fingerspitzen von den Sessellehnen und stehe. Hurra!
Vincent schlenzt ins Zimmer. Er trägt einen grauen Hoodie mit dem Logo irgendeiner Skateboardmarke, seine Jeans hängt wie immer irgendwo unterhalb seiner Taille, die Turnschuhe sind offen. Ich vermute, er ist bekifft. Vor ihm werde ich keine Schwäche zeigen.
Ich reiche Frau Berger die Hand. „Danke für das Gespräch.“
„Es hat mich sehr gefreut, Paulina. Ich wünsche dir heute und für die nächste Zeit alles Gute. Und mein Angebot steht.“
Aus einem Augenwinkel sehe ich, wie sich Vincent in den blauen Sessel wirft, auf dem ich gerade noch gesessen habe, nach unten sinkt und seine Beine ausstreckt. Mr. Oberrelaxed.
Frau Berger lächelt und nickt mir aufmunternd zu. Die Tür schließt mit einem leisen Klicken.
Okay, das wäre geschafft, denke ich, stehe im leeren und extrem stillen Schulflur und fange sofort an zu weinen.
Vincent
„David Foster Wallace, Thomas Pynchon, Salinger, Jack London, Raymond Chandler, Henry Miller und so weiter …“ Die Berger sieht auf. „Das ist eine beeindruckende Liste von Autoren, die mir deine Deutschlehrerin da gegeben hat.“
Sie sieht mich an, und ich hebe fragend eine Augenbraue.
Keine Ahnung, was das hier wird.
„Hast du die alle gelesen?“
„Nicht alles von allen.“
„Aber so ziemlich?“
„So ziemlich.“
Sie schaut wieder auf ihren Zettel. „Unendlicher Spaß hat tausendfünfhundert Seiten!“
„Ich bin noch mittendrin.“
„Okay.“ Sie setzt sich auf und legt den Zettel zurück in die Schulakte. „Du weißt vermutlich, warum du hier bist, oder?“
„Nein?“
„Du solltest eigentlich wissen, dass deine Versetzung gefährdet ist.“ Sie deutet auf die Schulakte. „Frau Krämer ist die einzige Lehrerin, die noch der Meinung ist, dass du das Abitur machen solltest.“
Ich zucke mit den Achseln. „Ich könnte auch nach der Elften abgehen.“
„Vincent, hör mal. Frau Krämer empfiehlt es sogar sehr. Ich meine, ich muss zugeben, dass ich mich in der modernen amerikanischen Literatur nicht so besonders gut auskenne, aber ich finde es beachtlich, wofür du dich mit sechzehn interessierst. Als ich in deinem Alter war, habe ich jedenfalls andere Dinge gelesen. Aber neben deinem offensichtlichen Interesse an amerikanischer Literatur haben wir leider auch große Ausfälle in anderen Fächern.“
„Kann sein.“
„Vincent!“
„Ja?“
„Interessiert dich das alles gar nicht? Das ist jetzt das dritte Gespräch in diesem Schuljahr. Du bist nicht dumm, du liest, du machst dir Gedanken, jedenfalls wenn ich den Hymnen deiner Deutschlehrerin vertrauen kann.“ Sie steht auf. „Warte hier.“
Ich sinke zurück in den Sessel und schließe kurz die Augen. Es war vielleicht keine so gute Idee, die ganze Nacht hindurch zu lesen. Als ich die Augen wieder öffne, fällt mein Blick auf die Akten auf dem Tisch. Da wäre meine gut drei Zentimeter dicke Akte, die mich drei Schulwechsel hindurch begleitet hat. Und nach jedem Schulwechsel offenbar mit einem Haufen von sinnlosen Aufzeichnungen gefüllt wurde, da ich mir absolut nicht vorstellen kann, was es über mich zu sagen gibt, das dieses Volumen rechtfertigt. Und dann gibt es eine hauchdünne Akte daneben, die, wie ich vermute, von Paulina ist. Musterschülerin und Schulqueen, die aber nach den Winterferien mysteriöserweise nicht mehr aufgetaucht ist und die ich nach all den Wochen heute zum ersten Mal wieder an der Schule gesehen habe. Mann, sah sie fertig aus. Ich beuge mich vor, hebe den Aktendeckel ihrer Schulakte ein wenig an und sehe ein Zeugnis. Wie kann man so viele Einsen haben? Vielleicht sollte ich ihr einen Deal anbieten. Ein paar ihrer Einsen gegen … ja, was? Wenn ich an den Laserblick denke, den sie mir zugeworfen hat, dann würde ich sagen, ich bin kein Kandidat für irgendeinen Deal. Wobei, hey, sie hat mich immerhin wahrgenommen. Und ich sie. Yeaho.
Ich höre Bergers Schritte und lasse die Schulakte schnell wieder zuflippen.
Sie fegt in den Raum, setzt sich und öffnet einen weiteren Aktendeckel. Wieso ist hier nicht schon alles digitalisiert?
Sie sieht mich strahlend an. „Du, weißt ja, dass die Schule im Sommer ihr fünfundsiebzigjähriges Jubiläum feiert.“
„Ja?“
Berger hebt kurz und kritisch ihre Augenbrauen. Verstehe, das war eine rhetorische Frage. Okay, zugegeben, alle Lehrer reden von dem Jubiläum, als wäre es sonst wie wichtig. Das habe ich schon mitbekommen.
„Nun jedenfalls wird die Schule fünfundsiebzig. Und wir haben dafür etwas Besonderes vor. Wir wollen ein Buch herausgeben. Bilder und Texte von Schülern. Frau Krämer bekommt eine Referendarin, die dies sowohl innerhalb als auch außerhalb des Unterrichts in einer AG organisieren wird.“ Sie strahlt. „Was sagst du?“
„Ich?“
Berger seufzt. „Vincent, ich winke hier gerade heftig mit einem riesigen Zaunpfahl. Ich … wir wollen dir helfen. Wenn du etwas mehr Sondereinsatz zeigen würdest, dann könnte man die Ausfälle in den Naturwissenschaften damit vermutlich ausgleichen.“
„Kein Interesse.“
Sie wirft die Hände hoch und lässt sie resigniert wieder auf den Schreibtisch fallen. „Okay, ich habe hier wirklich mein Bestes gegeben. Frau Krämer wird enttäuscht sein.“
Und ich lebe nicht, um Lehrer glücklich zu machen.
„War das alles?“
„Vincent …“ Sie bricht ab und sieht mich mitfühlend an. „Eine gute Schulbildung ist wichtig. Die Autoren, die du liest, haben auch die Schule besucht. Studiert.“
„Und das Studium abgebrochen.“
„Nun …“
„Und gekifft.“
„Was?“
„Und sich umgebracht.“
„Wie bitte?“
„Ich sag ja nur.“
Ich stehe auf. Berger sieht mich mit ihren Kulleraugen an und seufzt dann, als wäre das die einzig sinnvolle Reaktion auf mich. Ein Fall für Seufzer. Wenn ich bekifft wäre, würde ich über den Joke lachen.
Zurück im Schulflur, lehne ich mich gegen die Wand und schließe die Augen. Wie war das mit dem Sekundenschlaf? Und weil mein Gehör nun offenbar besonders geschärft ist, nehme ich alle Geräusche doppelt intensiv wahr. Ziemlich weit weg und trotzdem gut hörbar. Ein Schluchzen. Ich schiele den wirklich langen Flur entlang und sehe Paulina vor dem Mädchenklo auf dem Boden sitzen. Die Beine angezogen, den Kopf auf den Knien abgelegt. Mann, und ich dachte, ich habe Probleme!
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Presse / Rezensionen
„Bongard erzählt eine Geschichte um eine Handvoll Teenager zwischen Abiturstress, Liebeskummer und Familienfrust. Über Verlust, Sehnsucht, Verantwortung und Schmerz. Mit einem zarten Happy-End.“ (Steffi Pyanoe, PNN Potsdam, 15.6.2016)
Steffi Pyanoe
„… eine sehr authentische, aufwühlende Geschichte“ (Claudia Palma, Märkische Zeitung, 16.06.2016)
„Mit authentischen Charakteren zeigt der Roman wie man mit Abhängigkeiten umgehen kann. Eine aus zwei Perspektiven erzählte, berührende und packende Lektüre.“ (Stefanie Liske, Institut für Jugendbuchforschung in Eselsohr – Zeitung für Kinder- und Jugendmedien 4/2017)
„Einfühlsam und ehrlich. Selten habe ich ein so ehrliches Buch gelesen. Hier werden die Dinge beim Namen genannt, in einer schönen, leicht poetischen Sprache. Aber nicht nur Problemthemen finden hier Raum, sondern auch die Liebe zur Literatur, zum Scheiben und Themen wie Freundschaft, Vorurteile und Liebe. Eine Geschichte, die einen ganz tief berührt und sich ins Herz brennt!“ (Kenia Kriegler Thalia Buchhändlerin)
„Es gibt nur wenige Bücher, die es schaffen, dass ich noch einige Zeit später in Gedanken immer wieder zu ihnen hin schweife und ja, die von Katrin Bongard gehören definitiv dazu.“ (Mone – Mones Bücherinsel)
„Lass uns fliegen“ hinterlässt in mir nach Beenden des Romans ein echtes WOW! Gefühl.“ (Melanie – Mel Bücherwurm)
„Katrins Protagonisten sind immer irgendwie besondere Menschen, die aus der Masse herausragen oder deren Leben durch irgendein Ereignis aus der Bahn geworfen wurde und die dadurch anders sind.“ (Ira – Cup of tea and book)
„Paulina und Vincent sind mir ans Herz gewachsen und gute Freunde für mich geworden.“ (Liss- goood reading)
„Katrin Bongard verzaubert mich mit ihrem besonderen Schreibstil, ihren authentischen Protagonisten und ihrer Kunst. Einmal mehr. Ich bin und bleibe ein Fan.“ (Ina – Inas Little Bakery)
„Tiefgründig und emotionsreich – ein Buch, das nicht mehr loslässt!“ Anja ( Merlins Bücherkiste, 1.5.2016)
„Ein mitreißender Jugendroman, der sich hauptsächlich mit den Themen Trauer, Sucht, Vertrauen und Problembewältigung beschäftigt.“ (I. Schneider aus der Thalia Buchhandlung in Mannheim am 25.04.2016)
„Katrin Bongard hat mit Paulina und Vincent zwei Figuren mit vielschichtigen Charakterbildern geschaffen, die frei von artifiziellem Kitsch wirken, und die sich in einem Handlungsfeld voller wohldosierter Spannungs- und Problemmomente bewegen – damit ist „Lass uns fliegen“ gefühlsstarke, packende Unterhaltung, die eine Leserschaft mit Anspruchsniveau nicht unterfordert. (Tobias Wrany aus der Buchhandlung Jost in Mannheim am 16.4.2016)
„Fazit: Ein wunderbares Jugendbuch, das den Leser für verschiedene schwierige Themen sensibilisiert und auch immer wieder Hoffnung macht. Sehr realitätsnah und emotional.“ Lilli (Lillis Buchseite, 16.10.2016)